date

Von Siegmar Jeromin *
(Madrid, España)

Camino a la cita

was er darüber gehört hat,
was ihn momentan gerade bewegt,
was ihm seine freunde erzählt haben,
was ihm sein vater unter die nase rieb,

die lieb gemeinte aber eigentlich sehr einschüchternde post seiner mutter:männer sind einfallslos, männer sind fantasielos, aber du machst was daraus, viel glück

deine mama

was er sich vorstellte, weil er fantasie hatte, zuviel, sagte sein vater, hätte er von seinem großvater, seine schulischen leistungen litten darunter, seine konzentrationsfähigkeit litt darunter: er dachte über zuviele dinge nach, die eigentlich nicht von belang für die aufgaben waren, die anstanden. er erhielt einen termin beim funktionalen persönlichkeitsberater. beim ersten besuch musste ein elternteil anwesend sein. er freute sich darauf, seine mutter wiederzusehen, er wußte, seine fantasie machte ihr angst, schließlich ging es leuten mit zuvielen ideen sehr sehr schlecht in dieser gesellschaft, sein vater riet ihm, das problem ernstzunehmen, aber er, thomas, hatte nicht das gefühl, dass es ein problem gab. überhaupt fühlte er sich gut damit, diese ideen in seinem kopf zu haben, es gefiel ihm einfach, basta, sie würden ihm medizin verschreiben, damit die ideen aufhörten, das hatte er bereits von mitschülern gehört, die sich bis dahin nur über ihn lustig gemacht hatten, doch jetzt sahen sie ihn besorgt, eigentlich richtig angsterfüllt an. ihre eltern hatten ihnen erzählt, dass sie besser abstand vor ihm halten sollten

das verzögerungsphänomen
viele träumten vom großen glück. viele weigerten sich einzusehen, dass ihr date ein fehlschlag gewesen war, dass eben kein bund fürs leben zustandegekommen war, kein grosses glück. sie taten dann, nach dem grossen unglück, einfach so, als ob sie das große glück doch gefunden hätten: sie sahen sich überhaupt nicht, das wäre viel zu aufwändig und teuer gewesen, denn nur wer den bund einging, durfte zsziehen und zsleben, alle anderen mussten die gesetze beachten. die, die das unglück nicht wahrhaben wollten, schrieben sich ständig und machten sie vor, sie würden irgendwanndemnächst doch ja sagen, weil sie doch ihr glück gefunden hätten. alles nur eine frage von ein paar romantischen mailings. viele dieser jungen leuten blieben für monate weggeschlossen, wurden neu sozialgetuned.

die anderen machten ihm angst. sie erzählten ihm ständig welche ängste er haben müsste, bloss weil sie diese ängste hatten. warum sollte er so sein wie anderen. sein vater sah ihn da nur traurig an und sprach vom einfluß des großvaters. sie hätten ihn nicht so viel mit dem großvater allein lassen dürfen. thomas guckte ihn böse an. hätte hätte hätte. er nannte seinen vater einen versager. ein arschloch. weil auch er ihm angst machen wollte. sein vater erwiderte nichts. außer, dass der termin beim berater wirklich wichtig sein würde, auch sein vater wollte jetzt daran teilnehmen.

er wußte aus infos, dass diese methode des bundes, der paarbildung früher bei primitivlingen üblich war, früher, vor mindestens 150 jahren, und, dass diese methode jetzt als politisch völlig unkorrekt betrachtet wurde, logisch, weil die partner damals gegen ihren eigenen willen den bund eingehen mussten. heutzutage hat jeder die wahl allein unglücklich zu sein ohne andere damit belästigen zu müssen. sagte sein vater.

La cita

der dröge berechenbare suizidgefährdende alltag und die drogen, um die arbeit auszuhalten, der gesellschaft gelang es die zahl der suizide einzuschränken, sie wurden immer besser darin, die lust sich fallenzulassen in die lust zu bestehen umzuwandeln.

erinnerungswahrnehmungsblöcke seine reise vermischten sich mit den werbesprüchen der broschüre, erfolgsgeschichten, die das leben schrieb, mit kritischen noten, eingeflochten, natürlich gibt es viele probleme, gerade mit den menschen aus den kritischen zonen, dafür ist die gemeinsame freude umso größer, wenn man diese probleme gemeinsam überwindet

alle heulen. das hatten ihm seine freunde schon mal vorausgeschickt. er winkte seinem pappa und auch seiner mama nochmal zu. und endlich ging es los. er zeigte ihnen den stinkefinger, ohne sich nach ihnen umzudrehen

als er seinen vater fragte, ganz direkt fragte, was er denn getan hätte, wenn er denn die chance gehabt hätte, an so einem großen date teilzunehmen, da erlebte er seinen vater so wie er ihn sich immer gewünscht hatte: geradeheraus und hilfreich, weil ehrlich, nicht verlogen kompromissbereit, staatstragende formeln herunterbetend, der vater sagte: ich glaube nur, was ich sehen und fühlen kann und wie du weißt, klappt es mit liebe und beziehung so gut wie gar nicht mehr in den entwickelten staaten, es ist alles sehr kompliziert geworden, wir haben unseren repräsentanten die aufgabe gegeben, wenigstens die illusion von menschlicher nähe, liebe, zssein, aufrechtzuerhalten, dafür werbung zu machen. dass ihr jungen leute auf diesen scheiss reinfallen würdet, hätte niemand gedacht, als ob eure eltern mit ihrem scheitern nicht genug abschreckende beispiele geliefert hätten. ich kann von mir sagen, dass ich deine mutter für eine gewisse zeit geleibt habe, es gab andere frauen mit denen ich quantitativ mehr glück spürte, die erinnerung an diese frauen lässt mich weitermachen, wenn ich nicht mehr weiterkann. es wird immer schwerer. keine von den frauen, die ich in den letzten zwei jahren auch nur zum essen einlud, hat die einladung angenommen. aber das hatte ich erwartet, geniess es, nimm es, so wie es kommt, nur tu nichts gegen dein gefühl, dein bauchgefühl

sein vater nahm einen letzten schluck aus der bierdose und gab einen lauten rülpser von sich. sein vater war in den letzten zwei jahren beruflich abgestiegen, weil er mehrfach behandelt werden musste. das erste wonach ein erwachsener den anderen fragte, war nach dem arbeitsrang. was sein vater ihm nicht verraten hatte, was thomas aber wußte, war, dass sein vater zu stolz gewesen war, die angebote der frauen aus den klassen, in die er abgestiegen war, anzunehmen.

Abuelo

sein großvater hatte ihn einmal in ein großbildkino reingeschleust, in einen gewaltverherrlichenden film, in dem frauen teilbekleidet zu sehen waren.
solche alten filme liefen unter dem deckmantel der geschichtsbewältigung mit erklärenden untertitelkommentaren versehen. thomas wurde es abwechselnd heiß und kalt beim anblick der halbnackten frauenlieber, wie starr und angespannt er doch bei den verfolgungsjagden mit benzinbrennstoffindividualfahrzeugen im sitzsessel herumzappelte. es hatte ihm sehr gefallen. und sein großvater hatte ihm beim verlassen des kinos zugeflüstert. zu zwei dingen sagt ein mann niemals nein, zu geld und zu frauen.

thomas bestellte sein zweites beer. er würde niemals nein sagen. doch dazu mußte sie ja etwas von ihm wollen. würden sie beide etwa nur miteinander rummachen, damit sie danach nicht sagen konnten, sie hatten irgendetwas versäumt?

großvaters lema:
das tun, was einem leicht fällt, leicht von der hand geht, man bemüht sich bestimmt genug im leben um dinge, die nicht klappen, die anstrengend und fruchtlos sind, womit man sich abkämpft, was zu nichts führt, ausser zu der einsicht , dass man eben nichts machen sollte was sich scheisse anfühlt, blöd, dass man das oft nur hinterher weiss, zu spät. wie sich das anfühlt, mies

die broschüre lag immernoch vor ihm:
leben und die leibe

er verlas sich: wie man seinen lieb gewinnt

ihr leben, gerade ihr leibesleben, kommt vielen heutzutage nur noch wie eine selbstgewählte hölle vor, letztendlich. meist werden die individuellen freiheiten für das fehlende gegenwärtige lebensglück verantwortlich gemacht.

an das staatliche geschenk der ehe knüpfen immer mehr junge menschen ihre hoffnungen auf glück im lieben. sie wollen verantwortlich umgehen mit diesem geschenkten liebensglück. für viele wiegt das unbedingte ernstnehmen, der ernsthafte versuch dieses angebot des staates anzunehmen viel höher als irgendwelche faseleien über selbstverwirklichung, von dingen die man glaubt unbedingt verfolgen, haben, ausprobieren zu müssen. das basteln eines erstrebenswerten, konstruierbaren und wieder dekonstruierbaren selbst hat sich rein soziologisch in der mehrheitlichen meinung der gesellschaft messbar als sackgasse erwiesen. als grosser fehler.

die geschenkte zufallsehe hat sich als das grosse glücksversprechen im gnadenlosen wettbewerb, im zufallstrom des liebens etabliert, die geloste ehe ist eine religion geworden, sie erfährt götzenverehrung.

anbetungswürdige größe haben die jungen paare erlangt, die händchenhaltend durch die stadt flanieren. sie sind zum sinnbild geworden für ein bis vor kurzem noch undenkbares authentisches strahlendes glück. an etwas glauben, was so fühlbar schön ist, hilft dem geschundenen individuum ungemein, denn sonst regiert nur die angst bei der arbeit nicht zu funktionieren und schlimmer noch, keine zu haben und sich wieder hochdienen zu müssen durch soziale dienste, bis man nach jahren wieder in lohnarbeit stehen darf. dieser ganze nerv verliert gänzlich an tücke, sobald man dieses ungeahnte stück vom glück zu fassen kriegt.

Affaire

jeder erzählt man soll nicht zu grosse erwartungen an dieses zusammentreffen stellen. das problematische aber ist der gegenentwurf, allzuwenige werden nach einem nichteingehen auf dieses angebot jemals wieder partnerschaftliches glück, leibe, gemeinsamkeit, nähe, zärtlichkeit spüren und erfahren, sie werden zermürbt, zermahlen im alltagskampf, wo nur das kurzfristige abreagieren, befriedigen von trieben in einem graubereich, für viel geld, geduldet wird. die regierung behauptet jedenfalls, es sei kein zu hoher preis für die gesundheit und sicherheit, die der staat seinen bürgern gewährleistet, auch wenn im kampf gegen den terror soviele individuelle rechte eingeschränkt werden mußten.

überhaupt biedermeier ist gefragt wie nie, denn die bewegungsfreiheit ist so stark eingeschränkt, muß so lange im voraus angemeldet werden, dass der weg in die verinnerlichung der eigenen existenz schon naheliegend den großteil der immer spärlicher werdenden freizeit einnimmt.

warum es das grosse date in dieser form gibt, wie schlecht die bürger ihre psychische grundkonstitution sonst einschätzen, weniger als die hälfte, immer weniger, leben in beziehungen, und wenn, sind diese meist nur von kurzer dauer und in der gegenwart sind trennungen, räumliche mit extrem hohem verwaltungsaufwand verbunden, so dass nur noch zehn prozent wirklich zusammenleben, besuchsbeziehungen mit immer gering werdender besuchsfrequenz sind die normalität, wenn auch nur für eine minderheit, die mehrheit hat ganz pflichtbewußt ein als unglücklich empfundenes, mit hilfe von psychopharmaka phasenweise aufgehelltes dasein als geringstes übel hingenommen, nach den umfragen der letzten vier jahre.

eine sozialberuflich hochqualifizierte, aber für das individuum psychisch nicht befriedigende existenz, kann von der gesellschaft in ihren drastischen auswirkungen, die immer stärker in form von autodestruktion und sabotage auftreten, immer weniger aufgefangen werden. dieses egoistische verhalten hat sich als ansteckend erwiesen.
die kreative idee des grossen dates war einer der ersten und bisher einer der erfolgreichsten versuche dem verständnis eines glücklichen daseins, was sich immerhin in individuellen krisenphasen bis zu 84% aus rein psychisch konstruierten parametern (im gegensatz zu sozialberuflichen) konstituiert, endlich wieder rechung zu tragen.

entgegen aller prognosen hat sich das grosse date als erfolg herausgestellt. die technokraten der jetztzeitgesellschaft hatten die rolle der intellektuellen vorsicht, des erzieherisch bedeutsamsten vernunftparameters, das nicht nur die zeitgenössische berufssoziale, eher die gesamte existenzielle situation filtert, völlig überschätzt.

immerhin stolze 247 fragen standen zur spontanen beantwortung bereit bis endlich der flug nach amerika, nach buffalo im staate new york, bestätigt wurde. thomas´ herz schlug so hart und heftig, dass seine brust schmerzte, er rang nach luft, glaubte sterben zu müssen, der herzschlag kroch immer höher bis er seinen adamsapfel erreichte und sich dann unvermittelt beruhigte, verlangsamte, als sich thomas endlich der bäche von schweiss, die seine brust und seinen rücken hinabronnen, bewußt wurde. er legte sich hin. er mußte das nicht machen. er mußte kein achtzehnjähriges mädchen aus der ersten zweiten dritten oder sogar, wie er erlaubt hatte, aus der vierten zone treffen, der als lebensbedrohlich eingestuften aggressionsgesättigten, oder wie man unter freunden sagte, kriegszone. warum hatte er die frage danach bejaht, das war vollkommen irrational, eine zweistelliger prozentzahl dieser individuen muss lebenslang mit psychischen deformationen kämpfen, da suizidrisiko ist sieben komma vier mal so hoch wie in deutschland. das war irre von ihm, da den helden spielen zu wollen. aber er war stolz darauf.

heridas

natürlich fiel ihm der fakt sofort ein, es waren die wunden:
die aussicht darauf, einem mädchen zu begegnen, das wunden am leib trug, das stimulierte ihn. er konnte nichts dafür, diesen ganzen verwundungs-blut-physische schmerzen als lebenserfahrung-komplex hatte sein großvater ihm als unmittelbares wissen eingeimpft, in subjektiver vermittlung, wenn er thomas´ babysitter spielen durfte.

was aber die irrationale komponente keineswegs schmälerte, war doch diese erzählungsform längst als minderwertige illusionistische denunziation intersubjektiver vernunft aus lehrplänen, unterrichtseinheiten seit mehr als fünfzig jahren verschwunden, nur sein großvater, einer der letzten leiblich gezeugten und darauf war er sehr stolz und nicht wie die wenigen anderen zu seiner zeit sehr unglücklich darüber, dieser großvater war der urheber einiger defekte, die thomas für jahre zum besuch des therapeutischen unterrichts zwangen, darauf wies thomas´ vater immer wieder hin. schließlich war es der vater seiner ehemaligen lebenspartnerin, mit der er sich thomas´ freizeitaufsicht teilte. thomas´ vater war geschieden und allein lebend.

thomas wußte nicht, warum er niemandem die letzte geschichte seines großvaters, bevor der final beruhigt wurde, niemand, wirklich keiner menschen seele, wie der großvater zu sagen pflegte, erzählt hatte.
ansatzweise hatte er sich getraut im kreativen unterricht einen alten körper und davon getrennt, als regen getarnt, blutstropfen zu zeichnen. grausamkeit stand damals schon in der bildbewertung.
was da wohl gestanden hätte, wenn er die wahrheit seines eindrucks gemalt hätte: wie sein großvater ihm unter seinem seltsamen weil noch mit einem sogenannten kragen bestückten hemd und dem obligatorischen sensorischen unterhemd darunter, mitten auf dem brustkorb, der großvater weigerte sich die gratis rasur in anspruch zu nehmen, wie da ein din a sechs zipbloc klarsichtplastikbeutel mit klebestreifen angebracht war und in diesem beutel ein rinnsal blut den kleinen thomas fast ohnmächtig werden liess. der großvater behauptete, stündlich rinne ein tropfen aus seinem herzen, er zog thomas´ zeigefinger heran, legte ihn auf seine brust, auf eine stelle, die thomas als kleinen schnitt empfand. den der großvater sich wahrscheinlich selbst zugefügt hatte.
der nächste blutstropfen würde auch mindestens vierzig minuten auf sich warten lassen. thomas musste da schon längst im bett sein.
den ausfluß des blutstropfens, den ihm der großvater für die nächste woche versprach, konnte er dann nicht mehr verifizieren


Versión en Español: La cita

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* Siegmar Jeromin wurde 1964 in ostpreussen/polen geboren, er wuchs in frankfurt/main auf, wo er amerikanistik, theater-, film-und fernsehwissenschaften und anglistik studierte, musik machte und unzählige liedertexte schrieb. in berlin arbeitete er als filmvorführer und drehbuchautor für kino und fernsehen. er lebt in madrid, spanien, unterrichtet und übersetzt, und bereitet für das nächste jahr die eroberung kolumbiens vor. vorerst...



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15 de octubre de 2007

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